Auswanderer Polen

Auswanderer Polen

Auf dieser Seite finden Sie Auswanderer-Geschichten im Bezug auf Holzschuher.

Auswanderergeschichte von

Johann Heinrich Martin Holzschuher

*1814 Naila, Deutschland +1865 Lodz, Polen


Johann Heinrich Martin Holzschuher`s Auswandergeschichte begann 1834 als Webergeselle. Er war das jüngste von 4 Kindern. In 2 Ehen hat er jeweils 7 Kinder.


Seine Tochter Wilhelmine Matylda Holzschuher (*1840 +1919) heiratet (°°1859) in die Textil-Dynastie Kindermann in Lodz ein.


Sein Sohn Adolf Holzschuher (+1853 +1928) war Webmeister und Webereileiter bei Franz Kindermann in Lodz. 1919 war er Nebenältester der Lodzer Webermeister lnnung.


Dessen Sohn Adolf Holzschuher jr. (*1877 +1959) war Textiltechniker, und begründete die Baumwollwaren-Fabrik in der Ulica Piotrkowska 115 und Holzschuher & Heise in der Ulica Piotrkowska 122 in Lodz.


Sein Bruder Kuno Willibald Holzschuher (*1879 +1957) war Webereileiter und Manipulant bei der Wollmanufaktur Franz Kindermann. 1931 wurde er in die Verwaltung der Lodzer Webmeister Innung gewählt.


Sein Bruder Max Siegmund Holzschuher (*1887 +1939) war als Spinnmeister tätig.


Bilder (2): ©  Inserat im "Informationsbuch für den Lodzer Geschaeftsverkehr 1912", Inserat in der Tageszeitung "Rozwoy 29.August 1911, No. 196"

Bild: ©  Freie Presse - Lodz, Polen, 5.Sep.t 1925, Nr. 242

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Als Wandergeselle von Franken nach Litzmannstadt


Ein hundertjähriqes Wanderbuch erzählt / Ein Webergeselle aus Naila half die Lodscher Textilindustrie schaffen und aufbauen


Johann Heinrich Martin Holzschuher war zwanzig Jahre alt, als das Königliche Landgericht zu Naila, einem kleinen gewerbefleißigen Städtchen im Frankenwald an der oberen Saale, ihm am 22. August 1834 das Wanderbuch ausstellte, das er benötigte, um als Webergeselle die vorgeschriebene Wanderzeit anzutreten.


Einen Gulden kostete das handliche Büchlein, dazu kamen noch drei Kreuzer Stempelgebühr, gewiß nicht wenig für einen Wander- oder „reisenden Gesellen", wie er nun amtlich hieß. Neben der Personalbeschreibung enthielt das Wanderbuch die Instruktion für den wandernden Gesellen und eine Vielzahl leerer Blätter. Diese mit einem Sichtvermerk zu versehen, war Aufgabe der Obrigkeit jedes vom Wanderer besuchten Orts.


Wandern mußte damals jeder Handwerksgeselle. Wer nicht wanderte, konnte nicht Meister werden. Wandern und wandern war aber zweierlei. W e l c h e s Wandern gemeint war, das besagte der A r t i k e l vier der Instruktionen: „ Alle diejenigen inländischen Handwerksgesellen, die nach Ihren Wanderbüchern ihre Wanderzeit nicht in wirklicher Arbeit auf ihrer Profession, sondern im größern Theile mit bloßem Herumvagiren (*1) zugebracht haben, werden zum Meisterrecht nicht eher zugelassen, als bis sie die an der wirklichen Professionsausübung noch fehlende Wanderzeit durch weiteres Wandern in den größeren Städten des Inlandes vollende/ und von dem Meistern, bei denen sie gestanden, obrigkeitlich beglaubigte Atteste eines vollkommenen Fleißes und guter Geschicklichkeit beigebracht haben."


Ein und ein Vierteljahr wurde dem Wanderbuch-Inhaber zunächst gestattet, im In- und Ausland zu wandern. Dort jedoch nicht unbeschränkt, denn ein handschriftlicher Vermerk besagt: „Dem Inhaber, welcher am 1ten Januar 1835 conscriptionspflichtig (*2) wird, wurden die Folgen bekanntgemacht, welche er bei Nichtsistirung seiner Altersklasse zu gewärtigen habe. Desgleichen wurden ihm die Verordnungen wegen Eintritts in fremde Kriegsdienste und wegen Wandern nach der Schweiz und Frankreich (*3) bekanntgemacht."


Drei Wochen nach der Ausstellung des Wanderbuchs trat der junge Holzschuher die Wanderschalt an. Wir finden darüber unter dem 16. September 1834 eine Eintragung in dem Buch: „Inhaber hat sich zeither dahier aufgehalten und geht nun nach Hof."


In der unfernen Stadt verbringt unser Geselle mehr als zwei Jahre. Zu Weihnachten 1836 zieht es ihn jedoch nach Hause. Eine Eintragung des „Königlichen Stadtcommissariats" in seinem Wanderbuch vermeldet es: „Producent hat vom 17. September v. J. bis heute hier gearbeitet, sich immer als ein rechtschaffner Mann betragen und geht nach Naila,"


Interessant ist, daß man schon damals der Hygiene große Bedeutung beilegte. So wird - am gleichen Tag - vom „Königl. Stadt Physikus (*4) bescheinigt, daß der Wanderbuchinhaber frei von Krätze ist".


Auf Schusters Rappen über die damalige Landesgrenze


Holzschuhers Aufenthalt in seiner Heimat muß nur kurzfristig gewesen sein, denn am 16. Februar 1837 wird ihm wieder vom Stadlkommissariat Hof seine Rechtschaffenheit und vom dortigen Stadtphysikus die körperliche Sauberkeit bescheinigt, und zwar auch diesmal wieder für die Heimkehr nach Naila. Der Zweck der Heimreise geht aus der nächsten Eintragung (des Königl. Bayrischen Landgerichts dieser Stadt vom 28. Februar 1837) hervor: „Da Holzschuher der Militair-PIlicht Genüge geleistet hat, so wird demselben dieses Wanderbuch auf unbestimmte Zeit zum Wandern im Inlande und Auslande verlängert. Geht nach Lobenstein und ist augenscheinlich hautrein,"


Nun folgen die Sichtvermerke der „Ortsobrigkeiten" kurz aufeinander. Das Justizamt Lobenstein bescheinigt (was wichtig ist!): „Inhaber besitzt Reisegeld." Über Schleiz, Dahlen, Jena wandert er nach Weimar. Goethe war damals bereits fünf Jahre tot. Von Weimar geht Holzschuher nach Leipzig, von dort nach Delitzsch und von dort nach Berlin. Sein Reisegeld beträgt, wie es die Vorschrift verlangt, fünf Taler, was der Delitzscher Magistrat zu bescheinigen nicht vergißt. Das Königliche Polizei-Praesidium in Berlin genehmigt die Ausreise nach Posen und Warschau. Ungewöhnlich ist die Datierung dieses Sichtvermerks: „Berlin fünf u 20ter August 1800 sieben u 30."


Bayern unterhielt damals selbstverständlich in Berlin eine Gesandtschaft. Diese stellt dem Wandergesellen am gleichen Tag das Visum zur Abwanderung nach Posen und Warschau aus. Auch der russische Gesandte tut das. Für Warschau und natürlich in russischer Sprache. Auch er am 25. August. Mit der so oft gerügten Schwerfälligkeit der Behörden jener Zeit scheint es also nicht immer gestimmt zu haben.


Der nächste Sichtvermerk stammt schon von der Grenze und ist für längere Zeit der letzte in deutscher Sprache. Das Königliche Grenz-Zoll-Amt in Boguslaw stellte ihn am 1. September 1837 aus: Gesehen beim Ausgange.


Die Einwanderungs-Sichtvermerke sind zweifach. Der erste — in polnischer Sprache - ist von der Zollkammer in Grodziszczko, der zweite, russische, von der dortigen Grenzwache ausgestellt. Der Pole wandte die Daten alten und neuen Stils an: 20. August / 1. September 1837, der Russe nur das Datum des alten Kalenders.


Wie es sich für einen zünftigen Wanderburschen gehört, kam Holzschuher zu Fuß ins Land. In Kalisch, wohin Holzschuher sich zunächst wandte, kannte man noch den Schlagbaum. Beim Stawiszyner kam er herein, beim Warschauer heraus. Er blieb aber zwei Monate in der Stadt, die ja damals gute Weber gut verwenden konnte.


Uber Pabianice, das damals zum Bezirk Sieradz gehörte, wanderte er nach Lodsch, wo er am 10. November 1837 eintraf. Am 6. / I8. Januar 1838 wanderte unser Geselle wieder nach Kalisch. Der Bürgermeister von Lodsch bestätigt ihm das. (Kalisch und Pabianice besaßen damals im Gegensatz hierzu Munizipalämter.) Aber bereits am 30. April / 12. Mai finden wir ihn wieder in unserer Stadt, und zwar wird ihm - nach einigem Aufenthalt - die Ausreise nach Wiskitki gestattet. Wiskitki ist der Mutterort für die 1833 gegründete, nachmals so bekannte und wichtige Industriesiedlung Zyrardow (im heutigen Generalgouvernement).


Die nächste Eintragung im Wanderbuch sagt aus, daß der Aufenthalt Holzschuhers in der Gründung des französischen Textilfachmanns Girard vier Monate betragen habe. Der Vogt der Gemeinde Guzow, zu der Zyrardow gehörte, genehmigt die Ausreise nach Warschau.


Vier Tage weilte unser Wandergeselle in der Weichselstadt. Nicht weniger als fünf Sichtvermerke bezeugen das: die beiden von der Ein- und Ausreise am Wolaer Schlagbaum, der des Polizeibüros sowie der des „Kgl. Preußischen General-Consuls", der die Reise über Lodsch nach Breslau genehmigte, und der des russischen Militärgouverneurs, der die Heimkehr nach Preußen gestattete.


Damit sind die Sichtvermerke erschöpft. Holzschuher kehrte in seine Heimat zurück, aber nur, um seine Verhältnisse zu ordnen. 1840 ist er wieder in Lodsch, das ihm, der die drei damals wichtigsten Textilindustriezentren des Landes: Lodsch, Kalisch, Zyrardow kennengelernt hatte, am meisten zusagte. Am 27. April jenes Jahres wird er Mitglied der Webermeister-Innung (*5). Im gleichen Jahr heiratet er auch hier. 1858 wird seine Tochter Mathilde die Frau des Lodscher Industriepioniers Franz Kindermann, des Schöpfers der nachmaligen Aktiengesellschaft gleichen Namens. Holzschuher schafft sich auch als Laienprediger der hiesigen Brüdergemeine einen geachteten Namen. Am 11. März 1865 stirbt er.


Eine Schwiegertochter Holzschuhers sowie Enkel und Urenkel leben noch in Litzmannstadt.


Adolf Kargel


Anmerkungen: (*1) Herumtreiben, (*2) militärdienstpflichtig, (*3) vermutlich wegen der Unruhen, die dort herrschten, (*4) Stadtarzt,

(*5) S. Beitrag zur Geschichte der Webermeister-Innung zu Lodz von Friedrich Rudolf (Dr. Friedrich Wünsche). Lodsch 1939.


Unveränderter Originaltext von Adolf Kargel *1891 +1985, deutscher Journalist und Heimatforscher

Text aus der „Litzmannstädter Zeitung“ 26. Jahrgang / Nr.38, Sonntag, 7. Februar 1943, Seite 5.

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